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Mundenhof statt Netflix
ErdmĂ€nnchen „Stuttgart“ auf dem Mundenhof (c) Stadt Freiburg/Patrick Seeger
 
Mundenhof statt Netflix
KĂ€mpfe, RĂ€uber, Wampen unter WĂ€rmelampen:
Die ErdmÀnnchen-Saga geht in eine neue Runde

Von der Öffentlichkeit wegen der Corona-EinschrĂ€nkungen weitgehend unbemerkt hat sich im November auf dem Mundenhof eine schicksalhafte FĂŒgung in der ErdmĂ€nnchen-Saga abgespielt. Es ist eine Saga um Futterneid, Fingerspitzen, Weibchenraub und ein MĂ€nnchen namens Stuttgart. Und sie beginnt im Jahre 1999, im HerzstĂŒck des Freiburger Tiergeheges.

ErdmĂ€nnchen – der Name gilt fĂŒr Vertreter beiderlei Geschlechts – sind mit ihren 700 bis 900 Gramm die kleinsten Mangusten. Die meisten Safari-Touristen kehren aus dem sĂŒdlichen Afrika als große ErdmĂ€nnchen-Fans zurĂŒck, weil die Tiere durch ihr Sozialverhalten, ihre Wachsamkeit und FotogenitĂ€t viele Sympathie-Punkte sammeln. (Bei Fußballern, Farmerinnen und Skorpionen sind sie weniger beliebt, teils weil sie unablĂ€ssig Löcher in den Boden graben, teils weil sie danach viel Hunger haben.)

Die hohen Sympathiewerte haben ErdmĂ€nnchen auch in Europas Tierparks schnell zu Publikumslieblingen gemacht. So beherbergt auch der Mundenhof seit 1999 eigene ErdmĂ€nnchen. Anfangs waren es vier Tiere, und sie eroberten im Nu nicht nur Kinderherzen. Bald wurden daraus zehn Tiere; der letzte Nachwuchs datiert aus dem Jahr 2015. Dann kam die Gruppe in die Jahre und begann zu schrumpfen. Die VerstĂ€rkung durch NeuzugĂ€nge aus anderen Tierparks stieß auf Schwierigkeiten, weil ErdmĂ€nnchen zwar innerhalb ihrer Gemeinschaft in hohem Maße sozial sind. Neuen EinflĂŒssen und besonders neuen ErdmĂ€nnchen stehen sie aber mindestens im gleichen Maße abwehrend gegenĂŒber.

Auch auf dem Mundenhof folgte die ErdmĂ€nnchen-Saga dem bekannten Drehbuch. Sobald das Alphaweibchen nicht mehr zeugungsfĂ€hig war, stagnierte die GruppengrĂ¶ĂŸe. Nachdem die Dame 2016 in hohem Alter verstarb, begann der von heftigen Beißereien begleitete Nachfolgestreit. Obwohl sich ein neues ErdmĂ€nnchenweibchen die Chefinnenrolle sicherte, war unter diesen Gegebenheiten nicht an den lang ersehnten Nachwuchs zu denken. Die Gruppe schrumpfte.

Also machten sich die Tierpfleger und Tierpflegerinnen daran, , die Gruppe behutsam zu verjĂŒngen und neue Tiere aus anderen Zoos zu integrieren. ErdmĂ€nnchenfreunde wissen indes: Dies Unterfangen ist ein schwieriges. Es erfordert FingerspitzengefĂŒhl, Beobachtungsgabe und Tierkenntnis. Neue Tiere werden von der bestehenden Gesellschaft, dem „Klan“, zunĂ€chst als Eindringlinge gesehen und attackiert.

In zehn FĂ€llen konnten die Integrations-Beauftragten des Mundenhofs im Laufe der Jahre diese schwierige Phase meistern. Nur einer der NeuzugĂ€nge musste wieder gehen, weil die anderen Tiere des Klans ihn nicht in die Gruppe aufnehmen wollten und immer wieder wegbissen. Allerdings zog sich die Integration der jĂŒngsten „Neuen“ wieder ĂŒber Jahre hin. WĂ€hrenddessen starben altersbedingt weitere Mitglieder der ursprĂŒnglichen Gruppe, bis in diesem Sommer noch zwei Tiere ĂŒbrig waren, eines davon die letzte eigene Nachzucht des Mundenhofs.

Zwei Tiere, eines erdweiblich, eines erdmĂ€nnlich, dazu ein warmer Sommer fast mit Kalahari-Temperaturen – eigentlich klang die Konstellation nicht schlecht fĂŒr die GrĂŒndung einer neuen Gruppe. So war auf dem Mundenhof die Hoffnung auf Nachwuchs groß. Doch alles Warten war vergebens, denn am 11. November verschwand das Weibchen. Auf welchem Weg und mit welchem Ziel, weiß niemand. Ob es lebend aus dem Gehege entwendet wurde oder einem tierischen RĂ€uber zum Opfer fiel, ist nicht bekannt.

Fest steht leider nur, dass es sich nicht (wie zunĂ€chst erhofft) in das verzweigte Gangsystem zurĂŒckgezogen hat, um Nachwuchs zur Welt zu bringen. In solchen FĂ€llen ist es nĂ€mlich ĂŒblich, dass der mĂ€nnliche Partner das Weibchen mit Futter versorgt, indem er ihr Leckereien in die Wurfhöhle trĂ€gt. Stattdessen fraß das verbliebene MĂ€nnchen fĂŒr Zwei und sonnte seine Wampe anschließend unter der WĂ€rmelampe; von unterstĂŒtzender Brutpflege keine Spur.

Getreu dem Lehrsatz „Ein ErdmĂ€nnchen ist kein ErdmĂ€nnchen“ beschloss die Mundenhof-Leitung nun eine ZĂ€sur. Um der Biologie der geselligen Tiere gerecht zu werden, wurde entschieden, das MĂ€nnchen mit dem prosaischen Vornamen „Stuttgart“ abzugeben. FĂŒr Stuttgart wurde eine gute Unterbringung in einem Tierpark außerhalb Baden-WĂŒrttembergs gefunden. Dort wird es mit zwei Weibchen „vergesellschaftet“, wie Kenner des ErdmĂ€nnchentums einander zuraunen.

Das MĂ€nnchen verlĂ€sst den Mundenhof ĂŒbernĂ€chste Woche. Danach wird das ErdmĂ€nnchengehege umgestaltet und aufgewertet. Mitte Dezember beginnen unter anderem umfangreiche Baggerarbeiten, um das komplette Grabmaterial zu ersetzen, Reparaturen und Ausbesserungen des Innenstalls. Auch das Außengehege erhĂ€lt ein neues Gesicht, mit Aussichtspunkten und beheizten FlĂ€chen fĂŒr die wĂ€rmeliebenden Tiere.

Zur Zeit kann die Höhe der Umbaukosten nicht geschĂ€tzt werden, da noch nicht feststeht, wie das Gehege spĂ€ter aussehen soll. Der Förderverein Mundenhof hat bereits seine finanzielle UnterstĂŒtzung zugesichert. Auch Privatleute können den Umbau des Geheges mit einer Spende unterstĂŒtzen. Allen ErdmĂ€nnchen-Liebhabern bietet der Mundenhof zudem die Möglichkeit, eine ErdmĂ€nnchen-Patenschaft abzuschließen.

BĂŒrgermeisterin Gerda Stuchlik begrĂŒĂŸt die Neuigkeiten vom Mundenhof: „Auch ich freue mich ĂŒber den glĂŒcklichen Ausgang sowohl fĂŒr das MĂ€nnchen als auch fĂŒr das Gehege und die nachfolgenden Bewohner. Ende MĂ€rz soll das Gehege fertig sein, so dass schon nach Ostern ein neues PĂ€rchen oder eine neue Gruppe einziehen kann.“

Ob PĂ€rchen oder Gruppe – fest steht bereits heute: Sobald das Corona-Regime aufgehoben und das ErdmĂ€nnchen-Gehege wieder bewohnt ist, werden sich wieder Menschentrauben drumherum bilden. Denn ErdmĂ€nnchen sind allseits beliebt. Außer bei Fußballern, Farmerinnen und Skorpionen.

PS. Zur Zeit ist der Mundenhof weiterhin geschlossen. Alle Menschen, MĂ€nnchen wie Weibchen, werden gebeten, sich an die Schließung zu halten. Stichprobenartig finden Kontrollen statt.
 
Eintrag vom: 28.11.2020  




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