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Fleischkonsum
Slow Food kritisiert Ministerforderung nach mehr Schweinefleisch in der Kita- und Schulverpflegung

Bereits im Frühjahr 2016 hatte Schmidt angemahnt, die Ernährung in Schulen und Kitas nicht allein nach religiösen Kriterien wie "halal" oder "koscher", also den islamischen bzw. den jüdischen Speisegesetzen gemäß, auszurichten und kritisierte, dass in der Gemeinschaftsverpflegung von Kindern und Jugendlichen zu wenig Schweinefleisch angeboten werde. Am Jahresende hat er seiner Forderung in einem Interview mit der Bild-Zeitung erneut Nachdruck verliehen.

Er erklärte, es sei "völlig inakzeptabel", dass unsere Kinder in den Kantinen von Schulen und Kindergärten kein Schweinefleisch mehr bekämen. Auch wenn für muslimische Menschen Schweinefleisch tabu wäre, dürfe dies nicht dazu führen, bei der Verpflegung in pädagogischen Einrichtungen aus Bequemlichkeits- oder Kostengründen dieses Lebensmittel ganz vom Speiseplan zu streichen. Schmidt fordert die Kantinen-Betreiber auf, regelmäßig Gerichte mit Schweinefleisch anzubieten, denn: "Fleisch gehört auf den Speiseplan einer gesunden und ausgewogenen Ernährung, auch in der Kita- und Schulverpflegung. Jedes Kind sollte die Auswahl haben, ob es Rind-, Schweinefleisch, Fisch oder eben vegetarisch essen möchte."

Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, kritisiert an den Aussagen des Ministers die fehlenden faktischen Grundlagen. Sie sagt: "Weder gibt es solide repräsentative Befunde dazu, welches Fleisch in welchen Mengen in Kitas und Schulen auf den Teller gebracht wird, noch liegen eindeutige Erkenntnisse dazu vor, dass Schweinefleisch für eine ausgewogene, gesunde Ernährung erforderlich ist. Die beiden jüngsten vielzitierten Studien aus dem Jahr 2014 zum Essen in der Kita von Bertelsmann und zum Essen in der Schule von BMEL, IN FORM und HAW Hamburg erheben zwar Daten zum Fleischverbrauch in pädagogischen Einrichtungen, aber nicht differenziert nach Fleischsorten." Sie lieferten keinen Hinweis zu einem zu niedrigen Schweinefleischangebot in den Kita- und Schulküchen.

Was in diesen Publikationen jedoch kritisch festgestellt werde, sei ein insgesamt zu hoher Fleischverzehr. Von daher wäre es eigentlich zu begrüßen, wenn durch ein Sinken des Schweinefleischangebots der Fleischverbrauch generell reduziert würde. Hudson weist darauf hin, dass auch die vorliegenden DGE-Qualitätsstandards zur Verpflegung in Kita und Schule zwar Vorgaben zur Fleischmenge machten, nicht aber zur Schweinefleischmenge. Ebenso lägen keine wissenschaftlichen Nachweise dazu vor, dass die Präsenz von Kindern und Jugendlichen muslimischen Glaubens zum Verschwinden des Schweinefleischs in pädagogischen Einrichtungen geführt hat. In Anbetracht dieser Tatsachen sei kritisch zu fragen, ob nicht die Interessen der Produzentenlobby den Minister pauschal zum Schweinefleischverzehr aufrufen lassen.

Slow Food Deutschland setzt sich ein für ein gutes, sauberes und faires Essen in Kita und Schule sowie für die kulinarisch-kulturelle Vielfalt (siehe Positionspapier vom 1.9.2015 von Dr. Lotte Rose, Professorin für Pädagogik der Kinder- und Jugendarbeit und Mitglied der Kinderkommission von Slow Food Deutschland Positionspapier herunterladen). Im Sinne der Slow-Food-Philosophie sind an der Forderung des Ministers nach mehr Schweinefleisch und der Warnung vor Ernährungsformen anderer Kulturen und Religion drei Dinge zu kritisieren.

1. Wichtig ist die Qualität des Schweinefleisches, nicht die Menge

Slow Food wehrt sich gegen die Idealisierung von Schweinefleisch als unerlässlichem Lebensmittel. Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, erläutert: "Das ganze System zur Gemeinschaftsverpflegung und ihre Qualität müssen kritisch beleuchtet werden. Zu fragen ist, wie jene Schweine aufwachsen, leben, geschlachtet und verwertet werden, die Kinder und Jugendliche nach Meinung des Ministers konsumieren sollen, und wie die Menschen leben, die dieses Fleisch produzieren." Wenn jungen Menschen die Werte einer nachhaltigen und solidarischen (Essens-)Kultur vermittelt werden sollen, sei die pauschale Forderung nach mehr Schweinefleisch völlig absurd. Vielmehr wäre eine differenzierte Auseinandersetzung zur Qualität und Menge des angebotenen Fleisches konsequent in der Gesellschaft zu führen. Schweinefleisch aus industrieller Tierhaltung beispielsweise habe bei Slow Food nichts auf dem Teller zu suchen.

2. Die finanzielle Ausstattung der pädagogischen Stätten für Essen muss verbessert werden

Hudson verwundert auch die Selbstverständlichkeit, mit der vom Minister gefordert wird, jedes Kind sollte "die Auswahl haben, ob es Rind-, Schweinefleisch, Fisch oder eben vegetarisch essen möchte." Die Vision eines breitgefächerten Speisenangebots in den pädagogischen Einrichtungen, die es jedem jungen Menschen tagtäglich ermöglichen, nach eigenem Gusto zu essen, sei zweifellos sympathisch. Doch sei die derzeitige Verpflegungsrealität heute davon weit entfernt. Sie erläutert: "In den Schulen sind nachweislich mehr als zwei tägliche Menüvarianten selten. Viele Kinder in der Grundschule müssen sich gar mit einem Menüangebot begnügen. Für die Kitas sind entsprechende Daten bislang noch gar nicht erhoben." Das habe nichts mit den Ernährungsweisen muslimischer Kinder und Jugendlicher zu tun, aber sehr viel mit betriebswirtschaftlichem und logistischem Pragmatismus. Sie fordert: "Wenn man es als Minister ernst meint mit der Vision der reichhaltigen kulinarischen Auswahl für junge Menschen in pädagogischen Einrichtungen, dann muss man auch das nötige Budget dafür zur Verfügung stellen."

3. Slow-Food lehnt die Verunglimpfungen muslimischer Speisetabus als Gefährdungen der (Essens-)Kultur in Deutschland ab

Slow Food engagiert sich weltweit für die kulinarisch-kulturelle Vielfalt. Hudson kritisiert deshalb den diskriminierenden Aspekt der Forderungen Schmidts: "In einer Zeit, in der Migrations- und Flüchtlingspolitik zu brisanten gesellschaftlichen Spannungen führen, werden Ängste in Teilen der Bevölkerung ausgenutzt und das Schweinefleisch auf den Küchenzetteln deutscher Kitas und Schulen zum Symbol eines Kulturkampfes zwischen einer sogenannten deutschen Kultur und muslimischen Bevölkerungsgruppen stilisiert." Man könnte hier vermuten, dass eine fremden-, migrations- und flüchtlingsfeindliche Stimmung in der deutschen Gesellschaft eher akzeptiert und gefördert werden solle, als diese durch Aufklärung zu überwinden.
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Eintrag vom: 12.01.2017  




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