oekoplus - Freiburg
Freitag, 29. März 2024
  --- Besuchen Sie unser neues Informationsportal wodsch.de
Uhr


 
NABU: Amselsterben breitet sich aus
Über 600 Verdachtsfälle in knapp zwei Wochen - NABU ruft Bevölkerung weiter zur Mithilfe auf


In Deutschland gibt es nach 2011 und 2012 wieder ein Vogelsterben, das durch das von Stechmücken übertragene tropische Usutu-Virus ausgelöst wird. Zahlreiche Meldungen toter Vögel und Ergebnisse von Virenforschern bestätigen eine Ausweitung des Ausbruchsgebiets. Vor allem Amseln sind betroffen. Vor zwei Wochen hatte der NABU die Bevölkerung erneut um Mithilfe gebeten, erkrankte oder verendete Vögel über ein Online-Formular zu melden (www.nabu.de/usutu-melden ) oder Proben toter Tiere zur Untersuchung an das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg zu senden. Seit dem 23. September wurden dem NABU 611 Usutu-Verdachtsfälle aus Deutschland gemeldet – eine bemerkenswert große Zahl im Vergleich zu etwa 400 Meldungen im Herbst 2011 bzw. 1040 Meldungen im gesamten Ausbruchsjahr 2012.

„Die größte Anzahl von Meldungen kranker und toter Amseln stammt diesmal aus Nordrhein-Westfalen, insbesondere vom Niederrhein und aus dem Raum Aachen. Zahlreiche Meldungen gingen auch aus dem bekannten Ausbruchsgebiet der Jahre 2011 und 2012 ein, nämlich aus der Region entlang des Rheins von Freiburg bis Köln. Hinzu kommen Meldungen besonders aus dem Raum Leipzig und aus Berlin sowie aus dem Norden Niedersachsens und aus Schleswig-Holstein“, sagte NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. Ein klareres Bild der tatsächlichen Verbreitung des Usutu-Virus werde sich ergeben, sobald die aktuell eingegangenen Meldungen überprüft wurden, ob es sich um am Usutu-Virus oder aus anderen Gründen erkrankte oder verstorbene Vögel handelt. „Häufig werden z.B. auffällige Gefiederveränderungen, wie kahle Federstellen am Kopf lebender Amseln als Usutu-Fälle gemeldet. Nach derzeitigem Wissen steht dieses Phänomen jedoch nicht im Zusammenhang mit Usutu-Erkrankungen“, so Lachmann weiter.

Über 20 verstorbene Amseln wurden bisher dem Aufruf des NABU folgend an das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg zur Untersuchung geschickt. Insgesamt konnten das BNI und andere Labore bereits in mindestens 21 Fällen den Verdacht auf einen Usutu-Befall bestätigen. Es handelte sich neben 15 Amseln auch um sechs in Gefangenschaft gehaltene Bartkäuze. Offensichtlich bestätigt sich die Beobachtung aus den Ausbruchsjahren 2011 und 2012, dass neben Amseln besonders Eulen von Usutu-Erkrankungen betroffen sind. Alle bestätigten Fälle stammen wie die meisten Meldungen aus Nordrhein-Westfalen, aus dem früheren Ausbruchsgebiet entlang des Rheins oder aus dem Raum Leipzig. Auch für den Osten der Niederlande und den Süden Belgiens, direkt angrenzend an die bisherigen Brennpunkte in Nordrhein-Westfalen, häuften sich in den vergangenen Wochen Meldungen und Nachweise am Usutu-Virus verstorbener Amseln.

„Das vermehrte Auftreten von Usutu-Infektionen wurde in diesem Jahr sicherlich durch den Witterungsverlauf begünstigt. Auf einen milden Winter folgten ein feuchter Frühsommer und ein trockener und warmer Spätsommer – ideale Bedingungen für Stechmücken“, so Lachmann. Die derzeitigen Ausbruchsgebiete entsprächen weitgehend den Gebieten mit den höchsten spätsommerlichen Tagestemperaturen in Deutschland. Das 2010 erstmals in Stechmücken in Deutschland festgestellte tropische Usutu-Virus, löste 2011 und 2012 in Deutschland ein Massensterben unter heimischen Vögeln, darunter vor allem Amseln, aus. Nach einigen Jahren ohne größere Ausbrüche, tritt das Virus 2016 wieder vermehrt auf. Bereits seit Ende Juli gingen Meldungen kranker und kurze Zeit später verstorbener Amseln beim NABU ein. Ab dem 23. September rief der NABU daraufhin zur Online-Meldung entsprechender Beobachtungen auf.

Befallene Vögel wirken offensichtlich krank, werden apathisch und flüchten nicht mehr und sterben meist innerhalb weniger Tage. Fast immer sind es Amseln, bei denen diese Krankheit festgestellt wird, weshalb die Usutu-Epidemie auch als „Amselsterben“ bekannt wurde. Allerdings werden auch andere Vogelarten von diesem Virus befallen und können daran sterben. Das Überwiegen der Amseln lässt sich zum Teil durch deren Häufigkeit und Nähe zum Menschen erklären, was die Wahrscheinlichkeit des Auffindens toter Amseln erhöht. Aber eine besondere Empfindlichkeit dieser Art gegenüber dem Virus ist ebenfalls möglich.
Über die Auswirkungen des neuerlichen Amselsterbens auf den Bestand dieser Art im Ausbruchsgebiet kann zum derzeitigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Die beim letzten Ausbruch lokal stark dezimierten Bestände hatten sich in den vergangenen vier Jahren wieder langsam erholt. Genauere Aussagen werden aufgrund der Ergebnisse der großen vom NABU veranstalteten Gartenvogelzählungen möglich sein. Das Virus ist für Menschen ungefährlich. In ganz Europa konnten bisher erst fünf Infektionen beim Menschen festgestellt werden, meist bei Personen mit vorgeschädigtem Immunsystem.

Der Ausbruch dieses für Deutschland neuen Virus stellt eine einmalige Chance dar, die Ausbreitung und Folgen einer neuen Vogelkrankheit zu verfolgen und zu analysieren. Der NABU arbeitet daher mit Wissenschaftlern des BNI daran, die Ausbreitung des Virus und seine Auswirkungen auf unsere Vogelwelt zu dokumentieren und zu verstehen, um diese neuartige Gefährdungsursache von Vogelarten auch im Vergleich mit anderen Gefährdungsursachen beurteilen zu können. Die wichtigste Datengrundlage dazu bilden Meldungen toter und kranker Amseln aus der Bevölkerung, sowie eingeschickte Proben toter Vögel, die auf das Virus untersucht werden können.

Hintergrund
Mit Hilfe einer Internet-Meldeaktion konnte der NABU den Verlauf des Ausbruchs 2011 gut dokumentieren und auswerten. Eine Auswertung der Daten aus den großen wissenschaftlichen Mitmach-Aktionen des NABU „Stunde der Wintervögel (www.stundederwintervoegel.de) und „Stunde der Gartenvögel“ (www.stunde-der-gartenvoegel.de), konnte nachweisen, dass die Amselbestände in den damals nachweislich vom Virus betroffenen 21 Landkreisen zwischen 2011 und 2012 merklich zurückgegangen sind und somit bei einem bundesweiten Gesamtbestand von rund acht Millionen Brutpaaren möglicherweise 300.000 Amseln dem Virus zum Opfer gefallen sein könnten.
Mehr
Eintrag vom: 13.10.2016  




zurück
Oekostation_Haus_3026_2a.JPG

Copyright 2010 - 2024 B. Jäger