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NABU: Windenergie-Lobby leugnet Artenschutzproblematik
NABU erkennt Parallelen zu Klimawandelskeptikern / Miller: Bestehende Konflikte lösen statt wissenschaftliche Ergebnisse leugnen

Der NABU kritisiert den erneuten Versuch von Teilen der Windenergie-Branche scharf, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Artenschutz beim Ausbau der Windenergie abzuwerten. Hintergrund ist eine für den morgigen Donnerstag angekündigte kritische Stellungnahme des ehemaligen MdB Hans-Josef Fell und des Schweizer Ingenieurbüros KohleNusbaumer zu einer bisher unveröffentlichten, vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Studie zu den Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Vögel. Diese sogenannte PROGRESS-Studie ist die umfassendste und repräsentativste Studie zur tatsächlichen Zahl von Vogelkollisionen an Windkraftanlagen und die daraus abzuleitenden Folgen für die Populationen. Sie wurde von einem Konsortium unabhängiger Fachbüros und Universitäten durchgeführt und kommt zu dem Ergebnis, dass Windkraftanlagen tatsächlich Auswirkungen auf Vogelbestände haben. Die Windenergie-Branche um den ehemaligen MdB Fell, versucht diese Ergebnisse durch die Vorstellung einer Gegenstudie abzuwerten.

„Inzwischen erinnert der missionarische Eifer lautstarker Teile der Windenergiebranche beim Konflikt zwischen Artenschutz und Windenergie an das Vorgehen der Klimaskeptiker. Diese versuchen durch wiederholtes Infrage stellen wissenschaftlicher Erkenntnisse Zweifel an der Existenz des Klimawandels zu streuen, um dadurch den Ausbau erneuerbarer Energien zu verhindern. Stattdessen wäre es dringend notwendig, dass sich die Windenergie-Branche den nachgewiesenen Problemen stellt und gemeinsam mit Behörden, Fachexperten und Umweltverbänden praktische Lösungen entwickelt und umsetzt,“ sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.

Die Ergebnisse der PROGRESS-Studie wurden im Januar in Teilen in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, ein Interview mit den Autoren dazu in der Fachzeitschrift „Der Falke“. Sie bestätigen, dass die Schlagopferzahlen für die meisten Vogelarten nicht bestandsrelevant sind, zeigt aber gleichzeitig, dass einige Vogelarten so stark betroffen sind, dass von einer Gefährdung der heimischen Populationen durch die Windkraft ausgegangen werden muss. Insbesondere für den deutschlandweit verbreiteten Mäusebussard belegt die Studie für den norddeutschen Raum eine Rate von 0,48 erschlagenen Individuen pro Windrad und Jahr. Deutschlandweit muss daher bei gut 26.000 bestehenden Windkraftanlagen von über 12.000 getöteten Mäusebussarden pro Jahr ausgegangen werden – bei einem Bestand von etwa 100.000 Brutpaaren. Berechnungen im Rahmen der PROGRESS-Studie zeigen, dass in Regionen mit fortgeschrittenem Ausbaustand der Windenergie Populationsabnahmen mit dieser Sterblichkeit erklärt werden können. Die aktuelle starke Bestandsabnahme im besonders windenergiereichen Schleswig-Holstein bestätigt diese Erkenntnis bereits heute.

Deswegen muss aus NABU-Sicht beim weiteren Ausbau der Windenergie Rücksicht auf den Mäusebussard oder andere betroffene Arten wie den Rotmilan genommen werden, was der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell und der Schweizer Windkraftentwickler Oliver Kohle nicht akzeptieren wollen. Stattdessen kündigen sie eine „Studie“ an, die die Aussagen der PROGRESS-Studie in Frage stellt. Unter anderem behaupten Fell und Kohle, dass der Bestand des Mäusebussards parallel zum Bau von Deutschlands 26.000 Windrädern angestiegen sei. Das Gegenteil ist der Fall: Nach den offiziellen Monitoringdaten, die in Deutschland vom Programm zum Monitoring von Greifvögeln und Eulen erhoben werden, nahm der bundesweite Mäusebussard-Bestand zwar von 1988 bis 2006 leicht zu, anschließend bis zum Ende der Datenreihe im Jahr 2013, also parallel zum Ausbau der Windkraft, jedoch um mindestens 30 Prozent ab. Dabei ist davon auszugehen, dass in diesen Zahlen stärkere Abnahmen in windenergiereichen Gegenden Norddeutschlands durch bessere Trends im windkraftarmen Süden zum Teil ausgeglichen werden.

„Das Ergebnis der PROGRESS-Studie ist der erste Hinweis darauf, dass allein das Einhalten von Mindestabständen zwischen gefährdeten Vogelvorkommen und Windrädern, wie sie im sogenannten ‘Helgoländer Papier‘ der staatlichen Vogelschutzwarten formuliert sind, nicht ausreicht, um alle Vogelarten ausreichend zu schützen. Für den Mäusebussard wird darin bisher kein Mindestabstand gefordert“, so Miller.

Der NABU fordert daher in diesem und ähnlichen Fällen, den weiteren Ausbau der Windenergie an die Populationsentwicklung der betreffenden Art zu koppeln und dadurch geltendem Artenschutzrecht zu entsprechen. Nur wenn die Population der Art in einem bestimmten Bundesland nicht weiter abnimmt, dürften neue Genehmigungen für WEA im Vorkommensgebiet der Art erteilt werden. Dann wäre ein weiterer Ausbau der Windenergie im betreffenden Bundesland möglich, solange Maßnahmen getroffen würden, um die regionalen Bestände der Art zu stützen. Diese sollten sowohl eine Minderung der Auswirkungen der Windenergieanlagen beinhalten (Rückbau besonders kollisionsträchtiger Anlagen, großflächiges Freihalten besonders wichtiger Vorkommensgebiete und notfalls auch Mindestabstände) als auch Maßnahmen zur Verringerung der Mortalität durch andere Ursachen (illegale Verfolgung, Straßenverkehr) und Maßnahmen zur Erhöhung des Bruterfolges (Lebensraumverbesserungen u.a. durch gezielte Agrarumweltmaßnahmen oder spezielle Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen). Ein gezieltes Monitoring der betreffenden Population muss die Wirksamkeit der Maßnahmen belegen, wovon die Genehmigungsfähigkeit neuer WEA abhängt. Mit dieser Vorgehensweise wäre es möglich, den notwendigen weiteren Ausbau der Windenergie im Sinne einer naturverträglichen Energiewende mit dem Schutz gefährdeter Arten zu verbinden.
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Eintrag vom: 09.06.2016  




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