Große Erfolge bei bedrohten Arten in Deutschland
EU-Vogelschutzrichtlinie muss bleiben
Das Schicksal der bedrohten Vogelarten Europas ist in hohem Maße von den Naturschutzgesetzen der Europäischen Union abhängig. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die heute im Fachmagazin „Conservation Letters“ veröffentlicht wurde. Darin analysierten Wissenschaftler die Bestandszahlen und Populationstrends aller europäischen Vogelarten, die im vergangenen Jahr von den Mitgliedstaaten an die EU-Kommission gemeldet werden mussten.
„Ob eine Vogelart zunimmt oder abnimmt, hängt immer von mehreren Faktoren ab. Jetzt aber wissen wir endlich, was in Europa den größten Einfluss hat: Nämlich, ob eine Art dank der EU-Vogelschutzrichtlinie von besonderen Schutzmaßnahmen profitiert – oder eben nicht. Nach den neuesten Erkenntnissen hat dies wesentlich größeren Einfluss auf die Entwicklung einer Art als beispielsweise der Klimawandel“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke.
Im Jahr 1979 verabschiedeten die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die Vogelschutzrichtlinie, die seither in der EU den Schutz wildlebender Vogelarten und ihrer Lebensräume regelt. Sie gilt weltweit als eines der fortschrittlichsten und erfolgreichsten Naturschutzgesetze. Wird eine Vogelart im Anhang 1 der Richtlinie geführt, müssen die Mitgliedstaaten besondere Maßnahmen ergreifen und die wichtigsten Vorkommensgebiete als Vogelschutzgebiete ausweisen. Derzeit fallen 181 Arten in diese Kategorie. „Durch die Studie wissen wir jetzt: Ist eine Vogelart im Anhang 1 gelistet, hat sie wesentlich bessere Chancen auf einen positiven Bestandstrend als andere Arten“, so Tschimpke. Neben den Schutzgebieten dürften sich auch EU-finanzierte Hilfsprojekte auszahlen, die dank der EU-Naturschutzrichtlinien umgesetzt werden können.
Eine zweite wichtige Erkenntnis der Studie: Je länger die Vogelschutzrichtlinie in einem Land bereits gilt, desto besser fällt die Entwicklung der Anhang 1-Arten aus. In den neueren EU-Mitgliedstaaten sind die positiven Effekte noch schwächer ausgeprägt, doch in Deutschland – wo die Richtlinie seit 1979 greift – sind zum Teil spektakuläre Bestandszunahmen zu verzeichnen.
So hat etwa der Schwarzstorch maßgeblich von der EU-Vogelschutzrichtlinie profitiert (Zunahme in den letzten 25 Jahren um 1655 Prozent), aber auch der Seeadler (393 Prozent), die Wiesenweihe (238 Prozent), der Wanderfalke (215 Prozent) und Kranich (415 Prozent). Ebenso verzeichnet die ehemals fast ausgestorbene Großtrappe inzwischen eine solide Bestandszunahme (119 Prozent in den letzten zwölf Jahren). Auch die Bestände weniger bekannter Arten wie des Mittelspechts und der gefährdeten Singvogelarten Heidelerche, Blaukehlchen und Ortolan konnten sich dank der Schutzmaßnahmen wieder erholen.
Doch den Erfolgen stehen auch enorme Verluste in der Vogelwelt gegenüber. Vor allem bei den ehemals häufigen, weit verbreiteten und daher nicht durch Anhang 1 geschützten Arten gibt es Verlierer. Dazu zählen insbesondere Arten der Agrarlandschaft wie Rebhuhn (Abnahme um 95 Prozent in den letzten 25 Jahren), Kiebitz (minus 75 Prozent) oder Feldlerche (minus 34 Prozent). „Die EU-Agrarpolitik setzt mit ihren Subventionen genau die falschen Anreize. Sie fördert Naturzerstörung und lässt die Artenvielfalt im ländlichen Raum ausbluten“, so Tschimpke. Dagegen könne auch die Vogelschutzrichtlinie nicht ankommen.
Statt die Agrarpolitik zu reformieren, unterzieht die EU-Kommission derzeit die beiden wichtigsten EU-Naturschutzrichtlinien einem so genannten „Fitness-Check“. Dieser soll untersuchen, ob die Regeln gelockert werden könnten. EU-Kommissionspräsident Juncker fordert sogar das Ende einer eigenständigen EU-Vogelschutzrichtlinie. Dagegen haben sich jedoch in den vergangenen Wochen Hunderttausende Europäerinnen und Europäer in einer EU-weiten Online-Befragung ausgesprochen, die Sonntag endete. „Genau 520.325 Bürgerinnen und Bürger haben der EU-Kommission ein klares Signal gesendet: Sie wollen keine Aufweichung des Naturschutzes. Die Kommission darf dieses überwältigende Votum der Öffentlichkeit und die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht wegen einiger Lobbyisten aus der Agrarindustrie ignorieren. Die Richtlinien wirken, funktionieren und müssen beibehalten werden“, so Tschimpke. Um die Richtlinien vor Ort umzusetzen, benötige es aber mehr Geld, Personal und den nötigen politischen Willen. |