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Geplantes Kleinanlegerschutzgesetz bedroht Bürgerprojekte
Kerstin Andreae (Grüne) und Gernot Erler (SPD) treffen sich mit
Projektbeteiligten zum Runden Tisch.

Freiburg, 02.10.2014: Durch die geplante Gesetzesnovelle zum
Vermögensanlagegesetz sehen viele Bürgerprojekte in der Region ihre
Finanzierungsgrundlage gefährdet. Schon Anfang September hatte das
Aktionsbündnis „WirsindnichtProkon“ mit einer Stellungnahme und
Protestschreiben an Abgeordnete auf die Problematik aufmerksam
gemacht. Am 30. September trafen sich nun die
Bundestagsabgeordneten Kerstin Andreae und Gernot Erler mit einer
Gruppe von Aktiven aus unterschiedlichsten Organisationen zum Runden
Tisch im Vorderhaus der Fabrik für Handwerk und Kultur, Freiburg.
Matern von Marschall (CDU) war leider verhindert, hörte sich die
Bedenken der Projektengagierten aber schon am 19. September im
kleineren Rahmen an.

Mehr Verbraucherschutz für KleinanlegerInnen soll die Novellierung des
Vermögensanlagengesetzes bringen. Anlässlich der Insolvenz des
Windparkentwicklers Prokon soll der sogenannte „graue Kapitalmarkt“ stärker
reguliert werden. Doch die geplanten Regelungen haben (so sicherlich nicht
beabsichtigte) Risiken und Nebenwirkungen, die Stefan Rost vom 3HäuserProjekt
des Mietshäuser Syndikats den Abgeordneten darlegte. Größtes Hemmnis für
solidarische Wohnprojekte, freie Schulen, Energiegenossenschaften,
Kulturprojekte, Dorfläden und viele mehr ist die Pflicht einen Verkaufsprospekt
aufzulegen, wenn jährlich mehr als 100.000 Euro an Nachrangdarlehen
eingeworben werden sollen. Dieser Prospekt ist ein umfangreiches Dokument,
muss von Fachpersonen erstellt, von vereidigten Wirtschaftsprüfern testiert und
von der Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen (BaFin) geprüft und aufbewahrt
werden. Kosten von rund 50.000 Euro kommen damit auf Projekte zu, die schon
ohne überbordende bürokratische Regelungen nur wirtschaftlich sind, weil sie die
Kosten niedrig halten und mit viel ehrenamtlichem Engagement arbeiten. Der
personelle Aufwand ist in den 50.000 Euro, die im Ãœbrigen nicht nur einmalig
sondern jährlich anfallen, noch gar nicht eingerechnet.

Kerstin Andreae stellte daraufhin die berechtigte Frage, ob denn KleinanlegerInnen
überhaupt mehr Schutz benötigten und ob der Gesetzesentwurf diesen Schutz
auch bringe. Annette Bohland von der GLS Bank berichtete, dass AnlegerInnen aus
ihrem Kundenkreis sich sehr wohl darüber bewusst seien, dass eine achtprozentige
Rendite nicht mit einer risikolosen Geldanlage zu erzielen ist. Ihre Erfahrung ist,
dass Menschen Mündigkeit entwickeln und Verantwortung übernehmen, wenn sie
als mündig und verantwortungsbereit angesprochen werden. Dies leistet aus ihrer
Sicht der Gesetzentwurf nicht. Außerdem hatte Prokon ja einen solchen
Verkaufsprospekt aufgelegt – mit dem Segen der BaFin. Diese prüft Prospekte
jedoch ausschließlich nach formalen und nicht nach inhaltlichen Kriterien, wie
Georg Hille, Projektmanager von der Ökogeno bekräftigte. Weder die zu
erwartenden Einnahmen, noch die angesetzten Kosten werden auf ihre Plausibilität
hin überprüft. Stattdessen gilt es Formalien einzuhalten. Heraus kommt ein 60 bis
100seitiges Papier, das ohne fachkompetente Anleitung nicht verständlich ist und
das insofern auch kaum ein Anleger jemals durchliest.

Katja Barth, Geschäftsführerin des Mietshäuser Syndikats, sprach gar von
Verbraucherbevormundung statt Verbraucherschutz, denn die Menschen, die ihr
Geld eben nicht in einem dubiosen Fonds sondern in Projekten der
Solidarökonomie vor Ort anlegen, möchten dies weiter tun können. Dies wird nicht möglich sein,
wenn eben diesen Projekten die Finanzierungsgrundlage entzogen wird.
Oft decken solidarische Projekte vor Ort Leistungen ab, die staatliche
Einrichtungen so gar nicht mehr liefern (können): Sei es bezahlbarer
Wohnraum, Kultur, Erneuerbare Energien oder Wohnen im Alter, wie Franz
Held vom WOGE Demenzprojekt erläuterte.

Ganz wichtig ist in den Projekten der Solidarökonomie die Transparenz
gegenüber den KreditgeberInnen. Diese können sich durchaus vor Ort
informieren, Projekte besuchen und ganz konkret sehen, was mit ihrem
Geld passiert. Dies ist für die Mehrzahl der AnlegerInnen durchaus relevanter
als die erzielbare Rendite. Eine sehr große Transparenz und Mitbestimmung
ist für den Bereich der Genossenschaften zu betonen, wie Karin Jehle vom
fesa e.V. bemerkte. In Mitgliederversammlungen bestimmen die GenossInnen
über neue Vorhaben, Vorstand und Aufsichtsrat werden demokratisch gewählt
und der Genossenschaftsverband prüft auch jährlich die Bilanzen.
Genossenschaftsanteile selbst sind nicht von den Regelungen betroffen,
doch finanzieren viele Genossenschaften konkrete Projekte auch über Nachrangdarlehen.

Wie denn nun die Abgrenzung von schützenswerter Solidarökonomie zu
regelungsbedürftigem „grauen Kapitalmarkt“ aussehen solle, wollte Gernot Erler
wissen. Denn es sei zwar nicht im Sinne der Regierung, Bürgerengagement
abzuwürgen – die Interessen der KleinanlegerInnen sollten jedoch auch nicht
unter den Tisch fallen. Eine Grenzziehung anhand eines jährlichen Anlagebetrages
ist hier natürlich immer willkürlich und auch nicht unbedingt zielführend.
So hat ein Wohnprojekt, das Gebäude kauft oder baut, sicherlich einen höheren
Kapitalbedarf als eine Energiegenossenschaft, die ein Blockheizkraftwerk plant.
Ein Vorschlag seitens der Projektaktiven war eine Orientierung an der versprochenen
Rendite, die bei maximal vier Prozent über dem Basiszinssatz liegen könne.
Auch sollten Projekte, in die AnlegerInnen vorrangig aus persönlichem und nicht
aus wirtschaftlichem Interesse investierten, von der Regelung ausgenommen sein.
Dass dies ein etwas schwammiges Kriterium ist, das in der Praxis sicherlich auch
das eine oder andere Mal vor Gericht zu diskutieren sein wird, ist den
Beteiligten wohl bewusst. Zudem sollten Unternehmen ausgenommen werden,
die als Klein- bzw. Kleinstunternehmen einzustufen sind.

Eine grundlegende Erfahrung der Aktiven in Projekten der Solidarökonomie ist,
dass Menschen Vertrauen und Verantwortung entwickeln, wenn sie als mündig
angesprochen werden. Aus Gesprächen mit Aufsichtsbehörden und Verbraucherschutz
verdichtet sich jedoch der Eindruck, dass Vertrauen und Verantwortung
kollektiviert und durch Regulatorik ersetzt werden sollen. Dieser Trend
verstärkt sich zusehends selbst, weil das Vertrauen bei Verbrauchern und
Anbietern weiter erodiert, wenn sie sich in erster Linie auf die Regulatorik
verlassen. Der kollektive Verbraucherschutz zementiert insofern die Problemursachen
immer weiter. Nur ein partizipativer, die Eigenverantwortung stärkender
Verbraucherschutz kann die Ursachen der Probleme beheben.

Das Gesetzesvorhaben ist aktuell noch im Status des Referentenentwurfes.
Am 8. Oktober beschließt das Kabinett darüber, danach geht es zur Beratung
in die Ausschüsse. Die erste Lesung im Bundestag ist am 18. Dezember.
Noch ist also ausreichend Zeit, die Einwände der Betroffenen zu hören,
zu sammeln und ins Gesetzgebungsverfahren einfließen zu lassen. Gut, dass die
Abgeordneten bereit waren, sich die Nöte und Sorgen der engagierten BürgerInnen anzuhören.
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Eintrag vom: 10.10.2014  




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