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Umweltpolitischer Rückblick auf das Jahr 2023
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Umweltpolitischer Rückblick auf das Jahr 2023
Vorwort:
Der deutsche Atomausstieg am 15.4.23 war schon ein erstaunliches Phänomen. Seit wann setzen sich in a »Rich Man's World« die Vernunft gegen die Macht, die Nachhaltigkeit gegen die Zerstörung und die Kleinen gegen die Großen durch?

2023 war wieder einmal ein "schwieriges" Jahr, ein Jahr mit entsetzlichen Kriegen und Krisen, deren historische Ursachen erschreckend wenig hinterfragt werden. Für die Umweltbewegung und die sozialen Bewegungen gibt es langfristig immer ein Auf und Ab und dieses Jahr war eindeutig ein Jahr des Niedergangs und die Talsohle ist noch nicht erreicht. Bessere Jahre kündigen sich zumeist nicht vorher an, aber sie kommen.

Um manche Vorgänge, Entwicklungen und Machtstrukturen zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzte, dass 2022 knapp 4000 Milliarden US-Dollar an Gewinnen und davon 2000 Milliarden US-Dollar krisenbedingte Übergewinne aus der weltweiten Öl- und Gasförderung ­angefallen sind. (Eine Milliarde sind tausend Millionen.) Dazu kommen noch die globalen Profite der Kohle- und Atom-Konzerne. Solche Profite sind eng verbunden mit politischer und publizistischer Macht. Die Kohle-, Öl- und Gasmultis sind verantwortlich für die Klimakatastrophe und die Gierflation. Die Konzerne mögen keine Solaranlagen und Windräder in privater Hand und auch Wärmepumpen schmälern ihre Gewinne. Sie mögen keine Steuern für Konzerne und Milliardäre und erst recht keine Übergewinnsteuern und sie wissen ihre Interessen durchzusetzen. Eine einflussreiche Lobby hat es 2023 in Deutschland geschafft, den Zorn von den Räubern auf die Umweltbewegung und die GRÜNEN umzulenken.

Im Jahr 2023 wurde der antiökologische Kulturkampf, den wir bisher nur in den USA kannten, mit Macht nach Deutschland getragen. Sehr deutlich wurde das beim Streit um den deutschen Atomausstieg oder beim perfekt aufgebauschten Konflikt um die Wärmepumpe. Etwa 1 Million Euro Gewinn pro Tag konnte die Atomlobby bisher nach eigenen Angaben pro AKW erzielen. (3 AKW x 365 Tage x 1 Million sind 1095 Millionen Euro entgangener Gewinn pro Jahr.) CDU, CSU, FDP, AfD, Springer-Presse (besonderes hasserfüllt die BILD-Zeitung), FAZ, Klimawandelleugner wie EIKE, organisierte Windenergiegegner, Wirtschaftsverbände, rechtsradikale und rechtslibertäre Internetforen ... zogen im Kampf gegen die Energiewende erfolgreich an einem Strang. Solche Kampagnen sind immer dann erfolgreich, wenn den Menschen der Eindruck vermittelt wird, ihnen könnten persönliche Nachteile entstehen oder es würde ihnen etwas weggenommen. Politisch war die Entwicklung interessant, weil immer mehr der Eindruck einer informellen Koalition zwischen der Regierungspartei FDP und den Oppositionsparteien CDU, CSU und AfD entstand. Dies alles war und ist kein Thema in der Umweltbewegung, die sich teilweise in einer selbstgeschaffenen Wahrnehmungs- und Wohlfühlblase bewegt.

Einige ausgewählte umweltpolitische Niederlagen im Jahr 2023
* Das Jahr 2023 wird nach Einschätzung von Klimaexperten der Vereinten Nationen (UN) wohl das wärmste Jahr seit der Industrialisierung werden.
* Die mangelhaften "Teil-Erfolge" der Weltklimakonferenz im umweltzerstörenden Milliardärsbiotop der Vereinigten Arabischen Emirate. Sie entsprach einer Weltkonferenz der Vegetarier in den Schlachthöfen von Chicago!
* Die Räumung des Protestcamps in Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier. Die atomar-fossilen Seilschaften haben sich und uns in Lützerath wieder ein kleines Stück zu Tode gesiegt. Und dennoch war der gewaltfreie Kampf sinnvoll und notwendig. Er ist Sand im Getriebe der Weltzerstörung. Und ein Sandkorn kann ähnlich wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm entfachen.
* Die makaberen Erfolge konservativer und liberaler Parteien im Europaparlament gegen Natur- und Artenschutz in einer Zeit, in der wir gerade täglich bis zu 150 Arten ausrotten. Das Artensterben fällt nicht vom Himmel. Es wird von Menschen und Lobbyisten gemacht.
* Am 24. August 2023 begann die japanische Regierung mit der Einleitung von radioaktiv verseuchtem Wasser aus dem Atomunfall von Fukushima ins Meer. Es war das erste Mal seit Beginn der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie durch die Menschheit, dass kontaminiertes Wasser aus einem nuklearen Unfall künstlich ins Meer geleitet wird.
* Europa und die Welt rücken politisch nach rechts und der Marktradikalismus nimmt zu. Irrationalismus, Egoismus und Gier verstärken sich, nicht nur in der Politik

Einige ausgewählte umweltpolitische Erfolge im Jahr 2023
* Der mühsam erkämpfte deutsche Atomausstieg gegen die Macht der Mächtigen.
* Einige Erfolge erzielten Gerichte: Der Flächenfraß-Paragraf 13 b wurde durch ein vom BUND erstrittenes Urteil außer Kraft gesetzt und das oberste Verwaltungsgericht Berlin-Brandenburg forderte die Einhaltung der Sektorziele beim Klimaschutz. Gegen beide Urteile pro Umwelt geht die Bundesregierung "energisch" vor.
* Das 49-Euro-Ticket ist zwar ein Rückschritt gemessen am letztjährigen 9-Euro-Tickets. Trotz Digitalzwang ist es wenigstens ein Teil-Erfolg.
* Der aus erneuerbaren Energien gewonnene Ökostrom-Anteil an der Bruttostromerzeugung in Deutschland ist in den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 auf einen Rekordwert gestiegen.
* In den weltweiten Ausbau der Solarenergie wird aktuell mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Tag investiert.
* Das größte US-Projekt für den Bau von Mini-AKW ist krachend gescheitert. Strom aus Wind und Sonne ist billiger als gefährlicher Atomstrom.
* Seit diesem Jahr müssen alle Händler, die Speisen und Getränke zum Mitnehmen anbieten, auch Mehrweg-Verpackungen anbieten.
* Nach fast 20 Jahren einigt sich die UN am 4. März 2023 auf ein internationales Meeresschutzabkommen.

Das weltweit größte Umweltproblem, nicht nur im Jahr 2023, ist der ungebrochene Glaube an das unbegrenzte Wachstum im begrenzten System Erde. Die Umweltbewegung hat 2024 viel zu tun. Neben das kriegerische "Siegen wollen" müssen wir verstärkt das "Frieden wollen" stellen. Wir müssen neben die Kritik an der Umweltzerstörung auch verstärkt wieder die Analyse der Macht stellen. Nachhaltigkeit gibt es nicht ohne soziale Gerechtigkeit. Und wir sollten stärker als bisher unsere positiven Ziele betonen. Wir haben das Wissen und die Technik, um mit einem verringerten Input von Energie, Rohstoffen und Arbeitszeit allen Menschen dieser Erde das „gute Leben“ zu ermöglichen. Es braucht "nur" Klugheit, globale Gerechtigkeit und die Abkehr von der Wachstumsideologie.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein
(Der Autor ist seit 50 Jahren in der Umweltbewegung aktiv und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg)
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Eintrag vom: 25.12.2023  




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