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Wir brauchen eine schützende Arche mehr denn je
Halbzeitbericht zur EU-Biodiversitätsstrategie zeigt keine Annäherung an Ziele

Der kürzlich veröffentliche Halbzeitbericht zur EU-Biodiversitätsstrategie zieht eine erschreckende Bilanz: Seit dem Beschluss der Strategie im Jahre 2011 konnte diese dem fortlaufenden Artenverlust noch keinerlei Einhalt gebieten. Ganz im Gegenteil: "Die Populationen einiger gängiger Vogelarten scheinen sich zwar wieder zu stabilisieren, aber andere Arten, die in Verbindung mit landwirtschaftlichen, oder Frisch- und Salzwasser-Ökosystemen stehen, sind weiterhin im Verfall; 70% der europäischen Arten sind gefährdet durch Habitatverlust." (Seite 3, Halbzeitbericht).

Der Bericht der EU bestätigt die intensive, industrialisierte Landwirtschaft als eine der größten Ursachen für die Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt. Ökologisch nachhaltig bewirtschaftete Flächen und Produktionsweisen werden zunehmend durch Massentierhaltung, Intensivanbau, und Monokulturen ersetzt. Der daraus resultierende Verlust von fruchtbarem Boden, Streuobstwiesen und Weiden hat extreme ökologische Auswirkungen auf unseren Planeten und die Welternährung.

Deswegen setzt sich Slow Food für den Erhalt der biologischen Vielfalt ein, denn eine Vielfalt an regional angepassten Tierarten, Kulturpflanzen und traditionellen Lebensmitteln bedeutet vielfältige Kulturlandschaften, Ökosysteme, und nicht zuletzt Vielfalt auf unseren Tellern. Die Arche des Geschmacks ist ein Slow-Food-Projekt das weltweit einheimische Tierrassen, regional wertvolle Lebensmittel und Kulturpflanzen, die vor dem Verschwinden bedroht sind, schützt.

"Der Halbzeitbericht zur EU-Biodiversitätsstrategie zeigt, dass der Bewusstseinsbildung verstärkte Maßnahmen zur Erhaltung und zum Schutz der Arten und Ökosysteme folgen müssen," so Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland e. V. "Echten Genuss kann es nur mit Bewusstsein und Verantwortung geben - für die Menschen und die Umwelt, die diesen Genuss möglich machen. Wir brauchen die schützende Arche mehr denn je."

Biologische Vielfalt garantiert das Gleichgewicht in der Natur und sorgt für eine vielfältige menschliche Ernährung. Sie steht ebenso in engem Zusammenhang mit kultureller Identität: aus der lokalen Artenvielfalt, dem lokalen Klima und der örtlichen Geografie entwickeln sich spezifische landwirtschaftliche Praktiken, Küchen und Traditionen.

Zur internationalen Arche des Geschmacks zählen aktuell über 2.500 traditionelle Lebensmittel; die deutsche Arche hat bisher 55 Passagiere aufgenommen. Ziel ist es, diese tierischen und pflanzlichen Passagiere bekannter zu machen, um die Nachfrage zu erhöhen, nach dem Motto "Essen, was man retten will!". Slow Food veröffentlicht Informationen zu diesen bedrohten Lebensmitteln und hilft den Erzeugern, die sich durch ihre tägliche Arbeit für den Erhalt der biologischen Vielfalt und ökologisch nachhaltige landwirtschaftliche Systeme einsetzen, sich mit anderen Erzeugern zu vernetzen, und durch Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen in direkten Kontakt mit Kunden zu kommen.

Die große Mehrheit der Arche-Passagiere sind vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen und Nutzpflanzenarten, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen bedeutungslos geworden sind. Ihre Qualitäten werden nicht geschätzt - wie ihr dicker Speckmantel und ihr mit regionalem Futter verbundenes langsames Wachstum (Buntes Bentheimer Schwein), ihre ursprüngliche züchterische Ausrichtung auf Milch und Fleisch (Murnau-Werdenfelser Rind, Hinterwälder Rind) oder ihre Formenvielfalt: kleine Varietäten fallen durch den Kartoffelvollernter (Bamberger Hörnla).

Die andere, kleinere Gruppe bilden handwerklich hergestellte Lebensmittel. Ostheimer Leberkäs wird von nur einer Metzgerei in Ostheim (Bayrische Rhön) traditionell hergestellt. Weißlacker ist der einzige nur im Allgäu vorkommende Käse. Würchwitzer Milbenkäse (Sachsen-Anhalt) hat eine lange Tradition, die fast schon vergessen war, ebenso der Nieheimer Käse. Das Filder-Spitzkraut ist wegen seiner Form mechanisch schwierig verwertbar und doch geschmacklich dem runden Weißkohl überlegen. Die Nordhessische Ahle Wurscht schließlich zählt zu der Gruppe von traditionellen Produkten, die durch zunehmende Industrialisierung der Fleischverarbeitung an sensorischer Qualität oftmals verloren hat. Ein durch Slow Food initiierter Förderverein arbeitet gegen diesen Trend.

Die Vielfalt, die sich in Geschmack, Aroma, Farbe und Form von Lebensmitteln sowie in Rezepten und Bräuchen manifestiert, ist Teil unseres kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Reichtums. Durch Projekte wie die Arche des Geschmacks will Slow Food unser wertvolles kulinarisches Erbe bewahren.
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Eintrag vom: 05.11.2015  




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