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TTIP und CETA in Hamburg
Verlierer sind Hamburgs Bürger und die Demokratie

Mieten, Trinkwasser, Arbeitnehmer, Universitäten, Theater, Volkshochschulen: Alle sind von CETA und TTIP betroffen

Hamburg, 19.1.2015. Die Handelsabkommen TTIP und CETA mit den USA und Kanada werden weitreichende Auswirkungen auf die Hansestadt Hamburg haben. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Bürgerbewegung Campact, die am Montag der Presse vorgestellt wurde. Anhand einer Vielzahl von Beispielen zeigt sie auf, wie die Abkommen die Möglichkeiten Hamburgs einschränken, für zum Nutzen seiner Bürger Politik zu machen. Verlierer sind Hamburgs Bürger und die Demokratie.

Betroffen sind unter anderem Maßnahmen für bezahlbares Wohnen, die Arbeitnehmerrechte, der Schutz des Hamburger Trinkwassers vor Fracking, die Volkshochschulen und Theater. Die Ansprüche internationaler Investoren könnten vor internationalen Schiedsgerichten eingeklagt werden, für die die Vorgaben des Grundgesetzes ebensowenig bindend sind wie Hamburger Volksentscheide. Bereits das CETA-Abkommen mit Kanada wird die umstrittenen Schiedsgerichtsverfahren auch für US-Unternehmen ermöglichen: 80% der in Europa präsenten US-Unternehmen haben auch Niederlassungen in Kanada und sind damit klageberechtigt.

Annette Sawatzki von Campact warnt: "TTIP und CETA amputieren die Möglichkeiten der Bürgerschaft und des Senats, Politik im Interesse der Stadt zu machen. Wer unter TTIP und CETA regiert, wird kaum noch Gestaltungsspielräume haben. Praktisch alle Bürgerinnen und Bürger sind potentiell von diesen Abkommen negativ betroffen. Die Risiken sind enorm, während ein wirtschaftlicher Nutzen höchst fraglich erscheint."

Entgegen anderslautender Aussagen sei zweifelhaft, dass Hamburg wirtschaftlich von den Abkommen profitiere. Wissenschaftliche Ergebnisse lassen erwarten, dass TTIP Handelsströme umlenkt. Der durch TTIP zu erwartende Rückgang von Hamburgs Handel mit Asien wird demnach nicht durch die mögliche Zunahme des transatlantischen Handels kompensiert.

Hamburg ist diesen Entwicklungen jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Da der Bundesrat den Abkommen voraussichtlich zustimmen muss, kann Hamburg seinen Einfluss geltend machen und die Abkommen ablehnen. Die Entscheidung der Bundesrats über TTIP und CETA wird in der kommenden Legislaturperiode des Hamburger Senats fallen.

Von TTIP und CETA negativ betroffen wären alle, die zur Miete wohnen. Das sind vier von fünf Hamburgern. Maßnahmen um den Mietanstieg zu begrenzen könnten von internationalen Investoren vor Schiedsgerichten angegriffen werden. Dies beträfe Mietpreisregulierungen und stadtentwicklungspolitische Vorgaben, die Umsetzung der bundesweiten „Mietpreisbremse“ in Hamburg, eine Neuberechnung des Mietspiegels oder auch soziale Erhaltensverordnungen. 8000 Wohnungen in Hamburg gehören der Gagfah, die in in Kürze von der Deutschen Annington übernommen wird. An ihr sind Investoren aus USA und Kanada beteiligt. Sie könnten unter Verweis auf Einschränkungen ihrer Gewinnerwartungen vor internationalen Schiedsgerichten gegen Maßnahmen zum Schutz der Mieter klagen.

Betroffen ist auch das Hamburger Trinkwasser. Schon dank CETA könnte der Ölkonzern ExxonMobil eine Erlaubnis erzwingen, mittels der umstrittenen Fracking-Methode Öl und Gas im Süden Hamburgs zu fördern. Ein Tochterunternehmen hat eine Aufsuchungserlaubnis auf einem Fünftel der Fläche Hamburgs zwischen Harburg und Bergedorf erhalten. Das Gebiet enthält mehrere Trinkwasserbrunnen. In Hamburg könnte sich damit ein Präzedenzfall aus Kanada wiederholen: die Provinz Quebec wurde aufgrund eines Fracking-Verbots von der Firma Lone Pine vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt.

Auch Arbeitnehmer geraten durch CETA und TTIP unter Druck: Das Hamburger Vergabegesetz sieht vor, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die Mindestlöhne zahlen und Leiharbeiter den Stammbelegschaften gleichstellen. Diese Kriterien können in Schiedsgerichtsverfahren schadenersatzpflichtig werden, da CETA keinerlei Sozialklauseln enthält und auch TTIP mit größter Wahrscheinlichkeit keine vorsehen wird. Dies könnten sich transnationale Konzerne zunutze machen, die sich um Aufträge der Stadt Hamburg oder ihrer öffentlichen Unternehmen bewerben und dabei leer ausgehen. Auch ein “europäischer” Konzern wie der französische Ver- und Entsorger Veolia könnte - über seine Niederlassungen in USA und Kanada - gegen Hamburg klagen. Veolia klagt seit 2012 gegen Ägypten wegen einer Erhöhung des dortigen gesetzlichen Mindestlohns.

Private Klinikbetreiber mit internationaler Kapitalbeteiligung wie Helios bekämen die Möglichkeit, gegen die derzeit diskutierte Einführung eines Mindestpersonalschlüssels in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vorzugehen. Eine gesetzliche Erhöhung des Personalschlüssels mindert die hohe Arbeitsbelastung der Pflegekräfte und verbessert die Pflegequalität - führt aber womöglich zu Gewinneinbußen, die der Investor als Bruch seiner “legitimen Erwartungen” geltend machen kann.

Onlinebasierte Dienstleistungsvermittler wie Uber, deren Geschäftsmodell Tarifbestimmungen und Mindestlohn-Gesetze unterläuft, könnten sich mithilfe einer Schiedsgerichtsklage gegen ein Verbot ihres Dienstes zur Wehr zu setzen. Der elektronische Handel soll sowohl in CETA als auch in TTIP dereguliert werden. Beschränkungen des Marktzugangs wie das Uber-Verbot durch die Hamburger Verkehrsbehörde wären dann nicht mehr möglich.

Selbst Hamburgs Theaterfreunde könnten in die Röhre schauen. Denn die Förderung von Thalia, Schauspielhaus und Co. könnte vom Musical-Konzern Stage Entertainment über seine Niederlassung in den USA angegriffen werden. Der Kulturbereich ist in CETA nicht geschützt, und auch im TTIP-Verhandlungsmandat der EU-Kommission ist ein solcher Schutz nicht vorgesehen.

Ähnliches gilt für die Bildung, zum Beispiel die Volkshochschulen: Über 80 000 Menschen nehmen jährlich an Kursen der VHS Hamburg teil. Doch wenn CETA und TTIP in Kraft treten, kann die öffentliche Förderung der VHS von profitorientierten Anbietern konkurrierender Sprach- und Weiterbildungskurse, etwa dem auch in Hamburg präsenten Berlitz-Konzern, angegriffen werden.

Die Studie führt noch zahlreiche weitere Beispiele an. Sie entstand in Zusammenarbeit mit einer großen Zahl Hamburger Organisationen:

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)

Sozialverband Deutschland (SoVD)

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW

Mehr Demokratie

Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (Nordkirche)

Berufsverband Bildender Künstler

Attac

Hamburger Energietisch

Initiative Frackingfreies Hamburg

Initiative gentechnikfreie Metropolregion Hamburg (HH genfrei)

Arbeitskreis Gemeinwohlökonomie
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Eintrag vom: 23.01.2015  




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