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1912 - 1952 - 1962 - 1972 - 1992 - 2002 - 2012 ...
Stationen für Umwelt und Entwicklung und eine bahnbrechende Perspektive

Notwendige Rückblicke und Ausblicke zum Jahresende

Umweltprobleme, Energiemangel und Klimawandel im Griff?

Das scheidende Jahr 2012 griff einen Rhythmus auf, der bei den Gebieten Umweltschutz und Energie seit 60 Jahren angelegt ist und seit 1972 weltweit seinen Ausdruck findet. Sogar 100 Jahre zurück, zum Jahr 1912, besteht eine Verbindung mit einer bahnbrechenden Perspektive für Energie, Entwicklung und für den Klimaschutz:

Zunächst waren es heute fast in Vergessenheit geratene Umweltkatastrophen, die bald nach Ende des 2. Weltkriegs die aufstrebende industrialisierte Welt schockten. Danach wurden auch von der Staatengemeinschaft gemeinsame Lösungen gesucht. Schließlich haben findige Ingenieure für das Doppelproblem Energie und Klimarisiko einen eleganten Ausweg verfügbar gemacht, dessen Wurzeln 1912 mit einem Nobelpreis geehrt worden waren.

1952: Die „große giftige Dunkelheit“

Der „Great London Smog“, auch die „große giftige Dunkelheit“ genannt, führte vom 5.-9. Dezember 1952 zunächst zu 4000, im Gefolge dann zu rund 12000Toten, hauptsächlich bei Kleinkindern und älteren Menschen und bei denen, die schon Atemwegs- und Herzkrankheiten hatten. Was war geschehen? Viel intensiver als sonst hatte sich wetterbedingt eine winterliche Kaltluftglocke gebildet, die über London fast eine Woche lang eingesperrt blieb und zu extremem Nebel führte, immer mehr angereichert mit den giftigen Abgasen aus Hunderttausenden kohlebefeuerten Einzelzimmer-Öfen: Smog als Mischung von Nebel (englisch: fog) und Rauch (smoke). Das öffentliche Leben und der Verkehr brachen praktisch total zusammen. Auch in Gebäuden: Theatervorstellungen konnten mangels Sicht zur Bühne nicht stattfinden. Busse verirrten sich, der Verkehr wurde eingestellt, die Menschen mussten sich an Hauswänden entlang tasten, die Sicht sank teilweise auf nur rund 30 Zentimeter, einen Fuß weit, man konnte teils die eigene Hand am ausgestreckten Arm nicht mehr sehen. Die Luft war eigentlich überhaupt nicht mehr atembar. Schließlich kam dann doch wieder Wind auf. Die Regierung beschwichtige danach. Erst vier Jahre später, 1956, wurde das national das Luftreinhaltegesetz (Clean Air Act) verabschiedet und die Vielzahl der Kohleöfen eingeschränkt

1962: „Stummer Frühling“

1962, 10 Jahre nach Londoner Katastrophe, erschien eines der wichtigsten Bücher zur Umwelt: „Silent Spring“, deutsch „Stummer Frühling“ der US-amerikanischen Biologin Rachel Carson. Das zunächst vor allem in den USA großes Aufsehen erregende Buch widmete sich den stark aufkommenden Bioziden, eigentlich chemische Biokampfstoffe, die in der Landwirtschaft und bei der übrigen Schädlingsbekämpfung in der Natur und zur „Entseuchung“ von Menschen, etwa bei Soldaten, zunehmend eingesetzt wurden. Eine der Hauptgefahren war Schaden für die Vogelwelt. Die Auslöschung etwa des Weißkopfadlers drohte in den USA aufgrund dünnerer Ei-Schalen des Nachwuchses, auch die übrige Vogelwelt erschien gefährdet, daher der Titel „Stummer Frühling“ - ohne Vogelgezwitscher. Rachel Carson Buch führte zum weltweiten Verbot der Chemikalie DDT, ein Chlor-Kohlenwasserstoff, der sich in natürlichen Geweben anreichert. Weitere Folge des Buchs waren die ersten modernen Umweltschutzgesetze in den USA zum 1.1.1970.

1972: „Grenzen des Wachstums“

Diese und weitere Umweltprobleme führten 1972 zum alarmierenden Bericht „Grenzen des Wachstums“ (Limits to Growth) des Club of Rome mit Dennis Meadows als einem der Autoren. Der Club of Rome, eine internationale Wissenschaftlervereinigung, die auch in 2012 weiter besteht, gehört u.a. auch zu den Initiatoren des aktuellen internationalen Projekts Desertec für einen Verbund erneuerbarer Energien zwischen Nordafrika und Europa. Aufgrund des gefährlichen Anstiegs der Umweltbelastung und des Rohstoffverbrauchs sowie des absehbaren weiteren Bevölkerungswachstums suchten die Wissenschaftler nach einem Modell, das die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt, ohne unkontrollierbare Zusammenbrüche zu erzeugen. Denn bei Grundbedürfnissen wie sauberes Wasser, saubere Luft und vielen Rohstoffen sah der Bericht große Probleme der Verknappung bis hin zu „Umweltkriege“ voraus. Kriege um absehbar knappe Rohstoffe ereigneten sich in der Folge auch real, beispielsweise in Nahost mit Erdöl als Hintergrund, obwohl andere Gründe vorgeschoben wurden.

Stockholm 1972: UN-Konferenz zur Umwelt des Menschen

In demselben Jahr 1972 kam auf Initiative vor allem der umweltbesorgten skandinavischen Staaten die Weltgemeinschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen zur UN-Konferenz über die Umwelt des Menschen (UN Conference on Human Environment) zusammen. Entwicklungsländer bestanden dabei, wie die indische Regierungschefin Indira Ghandi es ausdrückte, aber darauf, Armut sei der größte Verschmutzer. Man habe keine Verantwortung für die Umweltprobleme des „Nordens“, sondern wolle sich uneingeschränkt entwickeln.

Immerhin führte „Stockholm“ zur Gründung des UN-Umweltprogramms UNEP mit Sitz in Nairobi, Kenia, und 1987 zum Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ (Our Common Future) der von der UN eingesetzten Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Dieser Bericht, nach der Vorsitzenden und früheren norwegischen Ministerpräsidentin auch „Brundtland-Report“ genannt, definierte auf moderne Weise den Begriff nachhaltiger Entwicklung. Dieser war bereits 1713 in Deutschland von Hans-Carl von Carlowitz für die Fortwirtschaft geprägt worden. Die BrundtlandKommission formulierte es so: eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der jetzt Lebenden erfüllt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen einzuschränken, deren Bedürfnisse zu befriedigen. Speziell seien die Grundbedürfnisse der Armen wie Nahrung und Wasser vorrangig zu decken. Bei der Umwelt sei zu berücksichtigen, dass bei ihr Grenzen bestehen mit Rücksicht auf gegenwärtige und künftige Bedürfnisse. Hieraus entstand die Idee des Umweltraums, der begrenzten Tragfähigkeit der Erde. Die Ergebnisse der Kommission gelten als diplomatischer Kompromiss und Versuch zur Harmonie zwischen den sich nach damaliger Meinung widersprechenden Zielen Umweltschutz und Entwicklung. Unter Entwicklung wurde allgemein die Entwicklung Richtung moderner Industriestaat mit dauerhaftem, aber angepassten Wirtschaftswachstum verstanden.

1992: UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro

1992 gipfelte die aufkommende weltweite Zusammenarbeit der Staaten bei der großen UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, Brasilien, der UN Conference for Environment and Development UNCED’92. Mehrere 10 000 offizielle und inoffizielle Teilnehmer trafen sich bei den Haupt- und Nebenkonferenzen. Die UNCED’92 anerkannte die Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung als Leitprinzip der Staatengemeinschaft, der Weltwirtschaft, der Weltzivilgesellschaft und sowie als Grundprinzip der Rio-Erklärung der Regierungen und der Agenda 21. Die Agenda 21 war als weltweites Handlungsprogramm für alle Lebensbereiche vorgesehen. Industrieländer sollten die Produktion und den Konsum in Richtung Nachhaltigkeit neu ausrichten, Entwicklungsländer die Armut bekämpfen und sich entwickeln. Das 28. Kapitel der Agenda 21 wendet sich an Städte und Gemeinden für die Zusammenarbeit der gesellschaftlichen Gruppen von der Bürgerschaft bis hin zur Industrie vor Ort.

Besonders wichtig erschienen der Weltöffentlichkeit die in Rio beschlossenen weltweiten Rahmenkonventionen zum Schutz des globalen Klimas und zum Erhalt der Artenvielfalt. Der sich abzeichnende Klimawandel war in Jahren unmittelbar vor „Rio“ nachdrücklich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und Politik gelangt. Auch ein Protokoll zum Schutz der Wälder und eine Erklärung zu Wüsten wurden verabschiedet. In der Folge waren jedoch trotz der optimistischen Stimmung von „Rio“ überwiegend klar unzureichende Erfolge zu verzeichnen, etwa das mangelhafte Kyoto-Protokoll von 1997 zum Klimaschutz, dem überdies etliche wichtige „Klimasünder“-Staaten wie die USA nicht beitraten. Außerdem wirkte die1994 in Marrakesch nach jahrelangen Verhandlungen gegründete Welthandelorganisation WTO mit ihrem Vorrang für Freihandel, Liberalisierung und Globalisierung der Wirtschaft den Absichten von Rio, nämlich Umweltschutz, Soziales und Wirtschaft in Einklang zu bringen, entgegen.

2002: Aktionsplan von Johannesburg-

2002 in Johannesburg, Südafrika, in Nachfolge von „Rio“, erbrachte der UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung WSSD mit rund 20.000 Delegierten aus Regierungen, Wirtschaft, Kommunen und Nichtregierungsorganisationen den Johannesburg-Aktionsplan. Diesem wurden aber keine finanziellen Mittel zugewiesen. Als Hauptergebnis von „Johannesburg“ gelang es dessen ungeachtet, dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung durch neue Prioritäten und Umsetzungsprogramme erstmals quantifizierbare, d.h. Mengen-Ziele zuzuweisen. In den Aktionsplan wurden dabei so genannte Millenniumsziele von 2000 aufgenommen, das sind anlässlich der Jahrtausendwende in 2000 von der UN-Vollversammlung verabschiedete Ziele, unter anderem:

- bis 2010 den Rückgang der Artenvielfalt deutlich vermindern,
- bis 2015 die Zahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, um 500 Millionen verringern,
- weltweit für alle Kinder Grundschulausbildung erreichen,
- den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sanitärer Grundversorgung halbieren,
- bis 2020 eine Minimierung der gesundheits- und umweltschädlichen Auswirkungen bei der Produktion und dem Gebrauch von Chemikalien erzielen. Hierzu kam einiges in der angestrebten Richtung in Gang, u.a. die 2007 in Kraft getretene Chemikalien-Gesetzgebung REACH der Europäischen Union.

2012: Rio + 20: Rückschritt oder kein Fortschritt oder doch?

2012 schließlich, zwanzig Jahre nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (UNCED 1992), fand im Juni 2012 die UN-Weltkonferenz für nachhaltige Entwicklung (UNCSD Rio+20) statt. Die UNCED 92 hatte trotz der dort beschlossenen Konventionen zum Klimaschutz und zur Biodiversität sowie trotz ihrer Erklärung zu Umwelt und Entwicklung, ihrer Wälder-Prinzipien und ihrem weltweiten Aktionsprogramm Agenda 21 auch bis 2012 die erhofften positiven Wirkungen kaum entfaltet. Die Beschlüsse wurden von mehreren Staaten nicht ratifiziert oder unterlaufen. Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt auf allen Ebenen, Hunger und Armut, Überfluss und Verschwendung von Ressourcen, Ausgrenzung und Sozialisierung ökonomischer Kosten, Ungleichheit und fehlende Bildungschancen sowie die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen und die Gefährdung der Biosphäre insgesamt standen und stehen in 2012 weiterhin und unakzeptabel für den Zustand der Welt.

Die Ergebnisse zu den beiden Hauptthemen von „Rio+20“ „Eine grüne Wirtschaft im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung“ und „Das institutionelle Gerüst für eine nachhaltige Entwicklung“ werden unterschiedlich beurteilt. Einerseits bekräftigt die Abschlusserklärung nachhaltiges Wirtschaften und das Modell einer „Green Economy“. Ziele dazu betreffen konkret die Bekämpfung von Armut und Hunger, Klimawandel und Bodenerosion. Auch die Millenniumsziele für das Jahr 2015 seien einzuhalten. Andererseits erklärten Vertreter der Zivilgesellschaft und der Nichtregierungsorganisationen die gesamten Verhandlungen für gescheitert, da verbindliche Abmachungen für die Umsetzung der Ziele ausblieben.

1912 – 2012: Eine bahnbrechende Perspektive tut sich auf für Energie und Klimaschutz

Eine für die Umwelt und Energiezukunft bahnbrechende Erfindung hatte in 2012 ein100-jähriges Jubiläum: der Nobelpreis für den französischen Chemiker Paul Sabatier für dessen Methode, organische, also kohlenstoffhaltige Moleküle mit Wasserstoff zu verbinden. Die naturwissenschaftliche Universität in Toulouse, Frankreich, ist nach ihm benannt. Speziell die „Sabatier-Reaktion“ verbindet Kohlendioxid mit Wasserstoff zu erdgasidentischem Methan CH4.

Genau das eröffnet eine umfassende Revolution für das Wirtschaften mit erneuerbaren Energien: Zum Beispiel aus Wind- und Solarstrom erzeugter Wasserstoff kann mit der Sabatier-Reaktion also erneuerbares Methan erzeugen und daraus auch Produkte der Chemieindustrie sowie mit ähnlichen Reaktionen auch Erdölersatz. Anders gesagt: Kohlendioxid aus industriellen Prozessen oder sogar aus der Luft wird mit Wasserstoff unter Wärmefreisetzung zu Methan verbunden. Das wird in Deutschland nach fast 100-jährigem Dornröschenschlaf 2012 in Demonstrationsanlagen für den Einsatz in der Energiewirtschaft bereits praktisch erprobt, so beim Zentrum für Solar- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg ZSW in Stuttgart und vom Autokonzern Audi am Standort Werlte im Emsland/Niedersachen. Die deutsch-österreichische Firma Solar Fuel nimmt sich des Themas intensiv an. Auch der Stadtwerke-Energiekonzern Thüga will die Methanherstellung nun in Frankfurt auch selber erproben, und die regionale Badenova, Freiburg, ist am Thema ebenfalls eng dran. Der Freiburger Umweltschutzverein ECOtrinova e.V. und das Klimabündnis Freiburg weisen seit 2009 nachdrücklich auf die „neuen“ Chancen hin.

Die Doktorarbeit von Michael Sterner in 2009 an der Universität Kassel und am Fraunhofer Institut für Windenergiesysteme IWES hatte zuvor in Zusammenarbeit mit weiteren Forschern aus Kassel und Stuttgart die Sabatier-Reaktion für die Energiewirtschaft neu durchdacht. Sie kann sich besonders eigenen sich für die Erzeugung von Methangas aus überschüssigem Windkraftstrom, der sonst bei Abregeln der Anlagen bei Starkwind aufgrund von Netzengpässen oder mangels Strombedarf gar nicht erst erzeugt worden wäre. Analog wird man bei künftig überschüssigem Solarstrom an Wochenenden und in den Ferienmonaten vorgehen können.

Zunächst wird hierbei mit der aus dem schulischen Chemieunterricht bekannten Elektrolyse auf technischem Weg Wasserstoff erzeugt, dann dieser mit Kohlendioxid verbunden. Beide, der Wasserstoff und das Methan, eröffnen das Tor zu einer Energieversorgung zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien für Strom, Wärme und Verkehr. Das bestehende Erdgasnetz und dessen riesige Speicher, die allen in Deutschland für mehrere Monate reichen, sind für das erneuerbare Methan uneingeschränkt nutzbar, für einige Prozent Wasserstoff-Beimischung ebenfalls. Der Wasserstoff eignet sich auch direkt zum Einsatz in Brennstoffzellen in Fahrzeugen und in Blockheizkraftwerken bzw. stromerzeugenden Heizungen für Strom und Wärme.

Indem sie mit Hilfe der Sabatier-Reaktion Kohlendioxid binden, können Wind- und Solarstromüberschüsse perspektivisch helfen, den von der Menschheit verursachten zusätzlichen Treibhauseffekt der Erdatmosphäre, d.h. den Klimawandel zu mindern, der vor allem durch Abgase aus der Verbrennung fossiler Energien entsteht. Sogar die geleerten Erdgas- und ErdölLagerstätten könnten zumindest teilweise wiederaufgefüllt werden. Aussichten, die es wert sind, jetzt voll angepackt zu werden.

28.12.2012. Autor und © : Dr. Georg Löser,
Energie- und Umweltbüro Dr. Löser, Weiherweg 4 B, 79194 Gundelfingen
 
Eintrag vom: 29.12.2012  




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